Die AG Rothaargebirge

Geschichte und Geschichten

Anfänge und Anlässe
Umweltbewußte Bürger und Naturfreunde hatten bereits in den 70er Jahren die AG Umwelt – eine Arbeitsgemeinschaft der Siegerländer Heimat-, Wander- und Naturschutzvereine gegründet. Beteiligt daran waren z. B. der SGV, der BNV (heute Nabu) und der Verein Wittgensteiner Bürger für eine lebenswerte Umwelt.
Schon damals wurden die Planungen einer Autobahn durch den Naturpark Rothaargebirge mit Misstrauen und großer Sorge verfolgt, weitere Bürgerinitiativen entstanden, wie z. B. die BI Brachthausen-Wirme.
Im Jahr 1978 wurde die A4 erneut in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen. In der Bevölkerung wuchs der Widerstand gegen dieses Projekt, und die Bürgerinitiativen „Aktionsgemeinschaft Rettet das Rothaargebirge“ und „Aktionsgemeinschaft Rettet den Burgwald“ wurden gegründet.
Mit dem Geschäftsführer der Wilhelm-Münker-Stiftung, RA Jost-Peter Weiß (gest. 2006), dem Architekten Kurt Müller (gest. 1982) und dem Mitbegründer der BI Brachthausen-Wirme, Wilhelm Heuel, hatten die besorgten Bürger kompetente und engagierte Führungskräfte für die Aktionsgemeinschaft gewählt. Hunderte von Schreiben an Politiker und Prominente wurden versandt mit der Bitte um ideelle Unterstützung, Kongresse wurden besucht, um unsere Sachkenntnis zu vertiefen.

Das waren Zeiten:
Die Naumann-Stiftung der FDP veranstaltete einen Verkehrskongress in Wehrda bei Marburg, und der hiesige Bundestagsabgeordnete der FDP, Eckhard Schleifenbaum (gest. 1981), war ein entschiedener Gegner der A4 im Naturpark.
Seit Ende der 70er Jahre reifte in der öffentlichen Diskussion mehr und mehr die Kritik an umwelt-verbrauchenden Projekten, und der kritiklosen Fortschrittsgläubigkeit („Straßenbau schafft Arbeitsplätze“) wurde die Frage entgegengestellt, welcher Preis dafür zu zahlen sei.
Ein besonders wirksames Zeichen dafür hat der damalige Umweltminister von NRW, Dr. Diether Deneke gesetzt, indem er im Mai 1979 von seinem Amt zurückgetreten ist, weil sein Regierungschef Johannes Rau die Autobahnpläne weiter unterstützte. Zitat Deneke: „Eine Autobahn, die 100 Tage im Jahr von Nebel, Schnee und Reifglätte bedroht ist, soll ein Beitrag zur Verkehrssicherheit sein? Da lachen doch nur die Streusalzverkäufer.“
Dieter Denekes Kritik war hauptsächlich naturschutzfachlich begründet. Er wollte das bis dahin völlig intakte Waldgebiet nicht zerstören. Er sah das Problem konsequenterweise nicht allein im direkten Flächenverbrauch von 500-600ha, sondern beschrieb, dass die Zerstörung dieses Waldgebietes nicht in qm zu messen sei.
Fast gleichzeitig mit dem Rücktritt Denekes beschließt der FDP-Parteitag gegen die A4 – der Anfang vom Ende.
Nach der intensiven Öffentlichkeitsarbeit der Aktionsgemeinschaft, der Aufklärung der Bürger über Nutzen und Schaden des Projekts und großen Erfolgen meinten wir aber nun, die Form der Bürgerinitiative aufwerten zu sollen, und so erfolgte (erst) 1980 die Gründung als eingetragener Verein.

15. 4. 1980: Beschluss der Satzung 
17 Mitglieder der BI unterzeichneten die neue Satzung des Vereins „Aktionsgemeinschaft Naturpark Rothaargebirge e. V.“ Damit waren wir nun eine juristische Person.
Damals hätten wir nicht geglaubt, dass unser Kampf gegen dieses zerstörerische Projekt mehr als 30 Jahre dauern würde, aber im Jahr 2010 konnten/mussten wir tatsächlich dieses Jubiläum begehen. Allerdings galten unsere Aktivitäten nicht nur dem Kampf gegen die Fernstraße sondern auch für den Erhalt und den Ausbau des Naturparks mit seiner Landschaft und seiner wertvollen Tier- und Pflanzenwelt.
Viele Jahre lang veranstalten wir jährlich am 1. Sonntag im Mai Trassenwanderungen und Demos für den Erhalt der Landschaft und eine gesunde Umwelt im Naturpark Rothaargebirge. Es war in dieser Situation ein Glücksfall für den Natur- und Umweltschutz wie auch für uns Engagierte, dass ein Mann wie Jost-Peter Weiß die Gründung und die Führung der Aktionsgemeinschaft Naturpark Rothaargebirge übernommen hat. 
Jost-Peter Weiß war nicht nur durch sein konsequentes Eintreten für die Natur und seinen ungeheuren Fleiß hierfür prädestiniert, sondern auch durch seinen brillanten, klaren Stil in Wort und Schrift. Er konnte wunderbar knapp und zielsicher formulieren ohne zu verletzen.
Und er hatte durch seine Position als freiberuflicher Rechtsanwalt und als Geschäftsführer der Wilhelm-Münker-Stiftung – später auch als Vorsitzender des SGV-Bezirks Siegerland – ein Büro und einen Bekanntenkreis, welche er vorteilhaft für die Ziele der Aktionsgemeinschaft aktivieren konnte.

1983/85: Ende der A4
Die Protestwelle in der Bevölkerung wurde Anfang der 80iger Jahre so groß, dass die Pläne 1983 fallen gelassen wurden. So wurden allein 80.000 Unterschriften gegen die A4 in NRW gesammelt. 
1985 wurde die A4 ersatzlos aus dem Bundesverkehrswegeplan gestrichen.

Totgesagte leben länger! Neue Fernstraßen-Pläne seit 2006.
Nachdem die A4 aus dem Bundesfernstraßenplan gestrichen wurde und sämtliche Gutachter von Kiemstedt (1981) über Lutter bis Aberle (1984) gegen den Bau votierten, schien das endgültige „Aus“ besiegelt. Doch nach der Wende wurden die Pläne von der schwarz-gelben Regierung wieder belebt. 
Seit Gründung unseres Vereins geht die größte Bedrohung der Natur von den Plänen zum Straßenbau aus. Dank der unermüdlichen Lobbyarbeit der Straßenbauer, Tiefbauunternehmen, Asphalt-, Zement- und Autoindustrie, deren Fachlobbyisten Crone und Ketteniß und mit tatkräftiger Unterstützung mehrerer Landräte, u. a. Paul Breuer, wurde nun eine neue Strategie für den Fernstraßenbau entwickelt: Eine Kette von „Ortsumgehungen“ soll in NRW als „Entwicklungsachse“ zu einer neuen Fernstraße ausgebildet werden. Gleichzeitig bemühte man sich in Hessen, die im Verkehrswegeplan dort seit 2003 wieder unter „möglichem weiteren Bedarf“ rangierende alte A4 in den „vordringlichen Bedarf“ hochzustufen, aber nun als Bundesfernstraße mit möglichst dem gleichen Rang wie im NRW-Teil der Trasse.
Inzwischen jedoch sind im Rahmen der EU-Regeln zahlreiche Biotope geschützt, die praktisch einen natürlichen Flickenteppich von Sperrgrundstücken auf der Trasse bilden. Fazit: „Die A4 ist nach umweltfachlicher Beurteilung nicht vertretbar“. Nun versucht die Lobby, Ersatzlösungen durch Neutrassierung von Bundesstraßen zu finden.
Im Jahre 2006 haben die Landesverkehrsminister von Hessen und NRW für 225.000 € eine „Machbarkeitsstudie“ in Auftrag gegeben, die eine sog. „umweltverträgliche“ Fernstraßentrasse zum Ergebnis haben soll. Gleichzeitig redet man über Arbeitsplätze, die durch neue Gewerbegebiete entlang dieser „Entwicklungsachse“ geschaffen würden. Den Bürgern wird eine Entlastung der Ortsdurchfahrten versprochen, ohne dass man aber die zunehmende Lärmbelästigung durch eine auf den Höhenlagen geführte, mautfreie Fernstraße zugeben will.

Wir wollen den Naturpark als etwas erhalten bzw. ausbauen, was der Bedeutung des Worts nach gesundem Menschenverstand entspricht. Leider aber ist das juristisch keinesfalls so gemeint, denn der Begriff „Naturpark“ bietet für die Landschaft nur äußerst geringen Schutz. Es sind nämlich sehr vielfältige wirtschaftliche Nutzungen auch in einem Naturpark erlaubt, und die gilt es, argwöhnisch im Auge zu behalten.

Nachrufe 
Die große Leistung von Jost-Peter Weiß kann man daran ermessen, dass unser gemeinsamer Einsatz nun für mehr als 30 Jahre das Schlimmste verhindert hat, und dass es in dieser Zeit gelungen ist, eine breite Öffentlichkeit für den Schutz des Rothaargebirges zu mobilisieren. Die Mitwirkung hunderter von Vereinsmitgliedern und Freunden haben dem einsichtigen Teil der Politiker gezeigt, dass das Umweltbewusstsein der Bürger stark zugenommen hat. 
In großer Dankbarkeit für sein unermüdliches und vorbildliches Engagement haben wir Jost-Peter Weiß einen Gedenkstein mit folgender Inschrift gesetzt: Jost-Peter..


Foto: F. Henstorf

Wir konnten für diesen Stein keinen würdigeren Platz finden als in der Nähe der Vorspanneiche, wo wir uns so oft schon versammelt haben, in unmittelbarer Nähe der früher geplanten Trasse durch den Dollenbruch Richtung Oberndorfer Höhe. Zufällig befindet sich auch ein Naturschutzgebiet hier, welches Wilhelm Münker selbst erworben und dem SGV übereignet hat. Gleichzeitig soll der Stein auch ein Mahnmal gegen zerstörerische Eingriffe aller Art in die Qualität von Natur und Umwelt im Naturpark Rothaargebirge sein. 
Ein ähnlicher Gedenkstein wurde auch zum Gedenken an Kurt Müller in der Nähe der Oberndorfer Höhe aufgestellt. 
Jost-Peter Weiß hat unseren viel zu früh verstorbenen Freund in folgender Todesanzeige gewürdigt:
„Am 26. August (1982) haben wir den Mitbegründer unserer Bürgerinitiativen
Herrn Architekt Kurt Müller für immer verloren.
Er liebte die Menschen. Es war sein Wunsch, ihnen eine gesunde, natürliche Umwelt zu erhalten. Dafür kämpfte er, allein und mit uns, bis an die Grenze seiner Kraft. Er ging stets voran, beispielgebend, mitreißend, und doch verband er seinen leidenschaftlichen Idealismus mit dem sicheren Gefühl für die Realität.
Er war geprägt von tiefer Menschlichkeit, er gab gerne, ohne zu nehmen.
Seine charaktervolle Persönlichkeit, sein wohltuendes Wesen, sein abgewogenes Urteil und sein selbstloser Einsatz für die gemeinsamen Ziele gewannen ihm immer neue Freunde.
Unfassbar früh wurde er aus unserer Mitte gerissen, er wird uns immer unvergessen bleiben.“
Diese wunderbaren Formulierungen von Jost-Peter Weiß können wir wörtlich auch für das Andenken an ihn selbst einsetzen. Wir können es nicht besser formulieren.
Jost-Peter Weiß und Kurt Müller waren und sind uns Vorbilder – wir werden in ihrem Sinne weiterarbeiten. Es gibt noch viel zu tun.

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